DW-WORLD / 15.12.2011
"Was wir brauchen, ist ein Wechsel!"
Mit den alten Politikern wird es in Bahrain keinen Neuanfang geben. Das sagt der bahrainische Schriftsteller Ali Al-Jallawi im Interview mit DW-WORLD.DE. Die Lösung der Konflikte in seinem Land sieht er in der Demokratie
DW-WORLD.DE: Als die bahrainische Regierung mit saudischer Unterstützung den Arabischen Frühling in Ihrem Land niederschlug, was ging da in Ihnen vor?
Ali Al-Jallawi: Es war zu erwarten, dass sich unser Nachbarland Saudi-Arabien einmischt. Ein bahrainisches Volk, das nach Demokratie strebt, bringt Saudi-Arabien in eine schwierige Situation. Doch das Problem liegt nicht bei Saudi-Arabien allein. Das Problem liegt auch beim Westen und bei den Waffen, die man verwendet hat, um das Volk zu ermorden. Diese Waffen wurden im Westen, in den USA, in Europa und in Deutschland produziert. Das ist das Problem und die Doppelmoral! Westliche Politiker sprechen jeden Tag über Demokratie in den arabischen Ländern, während sie gleichzeitig Waffen an nicht demokratisch legitimierte Regime verkaufen. Im Sommer wollte Deutschland Panzer an Saudi-Arabien verkaufen. Und die könnten auch in Bahrain gegen Demonstranten zum Einsatz kommen. Wenn der Westen aber Druck ausübt, damit die Menschenrechte beachtet werden - dann werden wir in Frieden leben.
Im Alter von 17 Jahren waren Sie zum ersten Mal inhaftiert. 1995 wurden Sie zu einer weiteren dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Warum sind Sie für das Regime gefährlich?
Lassen Sie mich Ihnen ein paar Dinge erklären – und ich rede nicht von Meinungsäußerungen, sondern Fakten: In Bahrain haben wir einen Premierminister, der seit 1971 im Amt ist! Das heißt, er ist Regierungschef seit der Unabhängigkeit Bahrains von Großbritannien! Wir haben eine Regierung aus 24 Ministern, von denen die Hälfte aus dem Königshaus stammt. Generäle stammen aus dem Königshaus. Strände und Küsten gehören zu 80 Prozent dem Königshaus. Der Premier hat vor kurzem ein Grundstück für die Errichtung eines Fußballstadions gekauft – für drei Dollar! Aber Sie glauben doch nicht etwa, dass man es zulässt, über diese Fakten offen zu sprechen? Sie sind im April 2011 aus Bahrain geflohen und leben seit Juli in Weimar. Wie kam es dazu?
Meine Flucht führte mich nach Großbritannien, dort wurde ich aber nach Deutschland weggeschickt. Ich habe meine Koffer hierher gebracht und meine Heimat verlassen, doch ich trage Bahrain in Gedanken und Träumen immer in mir. Nun lebe ich in Weimar, der Stadt Goethes und Schillers, in der Stadt der Schriftsteller und Philosophen. Doch ich muss sagen, was ich bisher hierzulande gelesen habe, folgt nicht den aktuellen Entwicklungen in der Welt. Die Schriftsteller ignorieren, was in der Welt passiert, so scheint mir. Ich habe auch entdeckt, dass es etwas anderes ist, über Demokratie und Freiheit zu schreiben, als sie in der Realität zu unterstützen. Damit meine ich nicht nur die Regierungen in der Welt, sondern auch die Menschenrechtsorganisationen.
In Bahrain überlagern sich mehrere Konfliktlinien: Der Iran verfolgt Interessen, ebenso das Nachbarland Saudi-Arabien. Für die USA ist das Land geostrategisch wichtig, es unterhält dort einen Flottenstützpunkt. Hinzu kommen der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten und der Wunsch der Bahrainis nach politischer Partizipation. Wie lassen sich diese Spannungsfelder Ihrer Meinung nach auflösen?
Die einzige Lösung ist die Demokratie: Jeder Bürger soll eine Stimme haben. Über allen soll das Gesetz stehen, wie eine rote Ampel: Alle verstehen die Signale, egal woran sie glauben und welche Sprache sie sprechen. Alle Macht soll vom Volke ausgehen. Das ist das Einzige, was den Konflikt befrieden kann. Derzeit werden die Konflikte von der Regierung geschürt, damit sie die Konflikte zwischen den Ethnien in den Vordergrund stellen kann – gemäß dem idiotischen Motto, das schon von den Kolonialherrschern praktiziert wurde: Entzweie die Menschen, dann kannst du sie leichter beherrschen!
Es gibt Stimmen innerhalb und außerhalb Ihres Landes, die hoffen, Kronprinz Salman bin Hamad Al Khalifa könnte eine Modernisierung des Landes einleiten. Wie beurteilen Sie diese Hoffnungen?
Die einen setzen auf den Kronprinzen, andere auf den Ministerpräsidenten, wieder andere auf den König. Doch seit einem Jahr geht der Mord am Volk weiter. Menschen werden verhaftet und keiner ändert daran etwas. Der Kronprinz hat bisher nicht Wesentliches zustande gebracht, er hat die Opposition zum Dialog aufgerufen. Doch dann haben sich die saudischen und die bahrainischen Sicherheitskräfte eingemischt. Der König hat eine Kommission gebildet, die die Niederschlagung der Aufstände untersucht hat und die Gewalt gegen Zivilisten und Folter benennt. Nun werden wieder Reformen versprochen. In der Tat ist der Ruf nach Reformen in Bahrain alt. Der Arabische Frühling war nicht der Anlass, er war der Funke, der das Feuer neu entfacht hat. Die Regierung hat auf die Forderungen des Volkes immer gleich reagiert, in dem es Sicherheitskräfte gegen das Volk eingesetzt, mit leeren Versprechungen geködert oder Kommissionen gegründet hat. Was wir brauchen, ist ein Wechsel: Das Volk geht für legitime Forderungen auf die Straße, während die Regierung stets mit der gleichen Logik und mit der gleichen Mentalität reagiert.
Jenseits der Politik: Wie sehen ihre persönlichen Pläne aus?
Für meine nähere Zukunft habe ich mir zwei Dinge vorgenommen: Erstens, Deutsch zu lernen und zweitens, meinen dritten Roman zu schreiben. Der Titel des Werks: „Hida jad allah“ - ein Wortspiel, das auf den ersten Blick heißt: Die Schuhe von der Hand Gottes. Tatsächlich aber geht es um einen Schuhmacher namens Jad Allah. Dieser Mann war ein Schumacher in meinem Dorf, den ich als Kind kennen gelernt habe. In meinem Buch ändert Jad Allah die Gesellschaft, indem er sie glücklich macht, weil er ihnen Schuhe macht oder repariert. Ich hoffe sehr, dass meine Romane ins Deutsche übersetzt werden. Das Interview führte Birgit Görtz Redaktion: Thomas Kohlmann
Stichwort: Ali Al-Jallawi Ali Al Jallawi ist 1975 in Bahrain geboren. Seit dem Alter von 14 Jahren schreibt er Gedichte. Mit 17 wurde er erstmals verhaftet, mit 20 für drei Jahre inhaftiert. Während der Haft legte er seinen eigenen Worten zufolge seine radikalen religiösen und politischen Überzeugungen ab. Er selbst sagt: „Ich bin zwar als Muslim in einer schiitischen Familie geboren. Ich bin aber ein Teil der Menschheit und gehöre nicht in beschränkte und einengende Kategorien.“ Im April 2011 gelang ihm die Flucht in die Arabischen Emirate und anschließend in den Libanon und nach Jordanien. Von dort aus wollte er auf Einladung der Akademie der Künste nach Berlin fliegen, um an einem Poesiefestival teilzunehmen. Beim Umsteigen in London wurde er trotz eines gültigen Visums für die Weiterreise nach Deutschland verhaftet und mehrere Wochen lang in Untersuchungshaft festgehalten. Schließlich landete er in einem Auffanglager in Trier. Auf Vermittlung des PEN Zentrums Deutschland lebt Al Jallawi seit Juli 2011 in Weimar. Mittlerweile hat er in Deutschland Asyl beantragt.
Stichwort: Bahrain Bahrain ist ein Inselstaat im Persischen Golf vor der Ostküste Saudi-Arabiens. Mit 760 Quadratkilometern ist er kleiner als Berlin mit knapp 900 Quadratkilometern. Bahrain hat rund 1,2 Millionen Einwohner, die Hälfte davon sind Ausländer. Die Schiiten stellen mit 70 Prozent die Mehrheit der einheimischen Bevölkerung und gelten als wirtschaftlich unterprivilegiert.
Bahrain steht seit Jahrhunderten unter dem Einfluss auswärtiger Mächte: Schon im frühen Mittelalter war das Inselarchipel Anlaufpunkt für den Seehandel zwischen Mesopotamien und Indien. Im Laufe der Zeit wechselten sich portugiesische, persische und osmanische Herrscher ab, bis Bahrain1867 britisches Protektorat wurde. Die sunnitische Dynastie al Khalifa steht seit Ende des 18. Jahrhunderts an der Spitze des Inselreichs.
Seit den 1950er Jahren kommt es immer wieder zu politischen Unruhen. Den im Februar entflammten Aufstand knüppelte die bahrainische Regierung unterstützt von saudischen Truppen nieder. In den Folgemonaten kam es immer wieder zu Protesten. Ende November 2011 legte eine vom bahrainischen König eingesetzte Kommission einen Untersuchungsbericht über die Niederschlagung der Protestbewegung vor, der die staatlichen Übergriffe detailliert auflistet und zu einem für die Regierung vernichtenden Urteil kommt: Die Rede ist von systematischer Folter und unverhältnismäßiger Gewalt gegen Zivilisten. Zwischen Februar und Oktober sind dem Bericht zufolge bei den Protesten 46 Menschen getötet worden.
Autorin: Birgit Görtz Redaktion: Thomas Kohlmann |
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